Mietvertrag über Wohn- und Geschäftsräume/ Wohnzweck hat Vorrang
Bei so genannten Mischmietverhältnissen über Wohn- und Geschäftsräume gilt, wenn sich bei der gebotenen Einzelfallprüfung eine überwiegende gewerbliche Nutzung nicht feststellen lässt, im Zweifel das Wohnraummietrecht.
BGH, Urteil vom 09. Juli 2014- VIII ZR 376/13
Bei so genannten Mischmietverhältnissen über Wohn- und Geschäftsräume gilt, wenn sich bei der gebotenen Einzelfallprüfung eine überwiegende gewerbliche Nutzung nicht feststellen lässt, im Zweifel das Wohnraummietrecht.
Die Vermieter haben mit den Mietern 2006 einen unbefristeten Mietvertrag über ein mehrstöckiges Haus in Berlin geschlossen. Zur Anwendung kam ein Formularmietvertrag über Wohnräume, in dem den Mietern gestattet wurde, das Erdgeschoss mit etwa 50 Prozent der Gesamtmietfläche als Hypnosepraxis zu nutzen. Mit Schreiben vom Februar 2012 kündigten die Vermieter das Mietverhältnis ohne Angabe von Gründen zum September 2012. Nach dem Widerspruch der Mieter erhoben die Vermieter Räumungsklage beim Landgericht Berlin. Das Landgericht hat das Mietverhältnis als Wohnraumvermietung eingestuft, für die das Amtsgericht zuständig ist, und die Klage deshalb mangels Zuständigkeit abgewiesen. Auf die Berufung der Vermieter hat das Kammergericht Berlin demgegenüber ein Gewerbemietverhältnis angenommen und die Mieter zur Räumung und Herausgabe des Hauses verurteilt. Zur Begründung gab das Kammergericht mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an, dass die Beklagten in einem Teil der Mieträume mit dem Betrieb der Hypnosepraxis ihren Lebensunterhalt bestreiten. Dies mache die freiberufliche Nutzung zum vorherrschenden Mietvertragszweck. Da die gewerbliche Nutzung den Schwerpunkt des Mietverhältnisses bilde, sei für eine Kündigung kein berechtigtes Interesse des Vermieters – wie im Wohnraummietverhältnis – erforderlich. Die Revision der Mieter hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung (VIII ZR 60/85) entschieden, dass ein Gewerbemietvertrag nicht allein deswegen anzunehmen ist, weil Mieter in den angemieteten Räumen eine Hypnosepraxis betreiben und damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Das Bestreiten des Lebensunterhalts durch eine freiberufliche oder gewerbliche Nutzung stellt kein sachgerechtes Kriterium für die Bestimmung des überwiegenden Nutzzweckes dar. Es besteht kein allgemeiner Erfahrungssatz darin, dass bei einem Mischmietverhältnis die Schaffung einer Erwerbsgrundlage Vorrang vor der Wohnnutzung hat. Dass das Wohnen als wesentlicher Aspekt des täglichen Lebens generell hinter die Erwerbstätigkeit des Mieters zurücktreten soll, lässt sich weder mit der Bedeutung der Wohnung als grundrechtlich geschütztem Ort der Verwirklichung privater Lebensvorstellungen noch mit dem Stellenwert, dem das Wohnen in der heutigen Gesellschaft zukommt, in Einklang bringen. Maßgeblich sind vielmehr alle auslegungsrelevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Lässt sich wie hier eine überwiegend gewerbliche Nutzung nicht feststellen, ist vorrangig von den für die Wohnraummiete geltenden Vorschriften auszugehen. Anderenfalls würden die zum Schutz des Wohnraummieters bestehenden zwingenden Sonderregelungen unterlaufen. Weil die Entscheidung des Kammergerichts fehlerhaft war und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Bundesgerichtshof die Vertragsauslegung selbst vorgenommen und entschieden, dass von einem Wohnraummietverhältnis zu Gunsten der Mieter auszugehen ist.
Kommentar: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist richtig und für Mieter, die ihre Wohnungen teils zu gewerblichen Zwecken nutzen, von unschätzbarer Bedeutung. Es ist nur zu bedauern, dass die Bundesrichter fast 30 Jahre benötigt haben, um die Folgen ihrer für die Mieter fatalen Entscheidung aus dem Jahr 1986 (VIII ZR 60/85) zu korrigieren. Aufhorchen lässt insbesondere die Feststellung der Bundesrichter, dass immer dann von den Vorschriften der Wohnraummiete auszugehen ist, wenn sich bei der gebotenen Einzelprüfung eine überwiegende gewerbliche Nutzung nicht feststellen lasse. Es bleibt zu hoffen, dass diese Entscheidung es den Instanzgerichten auch in Hamburg erleichtern wird, Mietverträge als Wohnraummietverhältnis zu qualifizieren, auch wenn sie auf Formularen für Gewerbe- und Geschäftsräume geschlossen werden. Die in jedem Fall nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs gebotene Einzelprüfung wird nämlich ergeben, dass vielfach die Nutzungsart Wohnen bei weitem überwiegt und die „Geschäftsraumkomponente“ unerheblich ist und nur eingeführt wurde, um den Mieterschutz des sozialen Mietrechts für Wohnraum zu unterlaufen.