Eigenbedarf nach zwei Jahren Mietzeit möglich
Der Vermieter muss, wenn er eine Wohnung vermietet, keine „Bedarfsvorschau“ machen, das heißt abklären, ob er bzw. ein Familienangehöriger Eigenbedarf haben könnte.
BGH, Urteil vom 04. Februar 2015 – VIII ZR 154/14
Der Vermieter muss, wenn er eine Wohnung vermietet, keine „Bedarfsvorschau“ machen, das heißt abklären, ob er bzw. ein Familienangehöriger Eigenbedarf haben könnte.
Die Mieterin bewohnt seit April 2011 eine Zwei-Zimmer-Wohnung des Vermieters in Mannheim. Im Februar 2013 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zu Ende Mai 2013. Zur Begründung gab er an, seine 20-jährige Tochter, die im Juni 2012 ihr Abitur gemacht und sich anschließend ein Jahr in Australien aufgehalten habe, werde im Juli 2013 ein Studium in Mannheim aufnehmen und eine eigene Wohnung beziehen wollen. Bis zum Auslandsaufenthalt habe sie ein Zimmer bei den Eltern bewohnt.
Nachdem das Amtsgericht der Räumungsklage stattgegeben hatte, verneinte das Landgericht Mannheim den Räumungsanspruch wegen Rechtsmissbrauchs, weil bei verständiger Betrachtung der Vermieter den Eigenbedarf hätte voraussehen können und müssen. Die Revision des Vermieters hatte Erfolg und der Rechtsstreit wurde an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das Verhalten des Vermieters nicht rechtsmissbräuchlich sei. Ist der Vermieter bei Abschluss eines Mietvertrags weder fest entschlossen, Eigenbedarf geltend zu machen, noch zieht er ein solches Vorgehen ernsthaft in Betracht, dann kommt es nicht darauf an, ob bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände im Rahmen einer von den Instanzgerichten für erforderlich gehaltenen „Bedarfsvorschau“ der Eigenbedarfsfall vorhersehbar gewesen wäre. Dadurch, dass der Vermieter dem Mieter einen unbefristeten Mietvertrag anbietet und nicht von sich aus Angaben über den Stand und die mögliche Entwicklung seiner familiären und persönlichen Verhältnisse macht, gibt er regelmäßig nicht zum Ausdruck, dass er die Möglichkeit eines alsbaldigen Eigenbedarfs geprüft hat und nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ausschließen kann. Sollte dies vom Vermieter bei Abschluss eines Mietvertrags verlangt werden, würde dessen verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit missachtet, über sein Eigentum innerhalb der gesetzlichen Grenzen frei zu bestimmen. Will der Mieter das Risiko künftiger Entwicklung nicht auf sich nehmen, kann er einen beiderseitigen Ausschluss der ordentlichen Kündigung oder einen einseitigen Ausschluss der Eigenbedarfskündigung mit dem Vermieter vereinbaren.
Kommentar: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist nicht nur problematisch, sondern auch geeignet, den gesetzlichen Kündigungsschutz bei Kündigungen wegen Eigenbedarfs grundsätzlich infrage zu stellen. Nach dieser Entscheidung soll der Vermieter bei Abschluss eines unbefristeten Mietvertrags nicht verpflichtet sein, sich darüber Gedanken zu machen, ob und, wenn ja, wann er künftig die Wohnung wegen Eigenbedarfs in absehbarer Zeit benötigen wird. Der Hinweis darauf, dass es dem Mieter freistehe, beiderseitigen Kündigungsausschluss mit dem Vermieter für einen längeren Zeitraum oder den einseitigen Verzicht des Vermieters auf Eigenbedarf zu vereinbaren, konterkariert den Willen des Gesetzgebers und lässt auf eine nicht unerhebliche Praxisferne der Karlsruher Richter schließen. Der Gesetzgeber hat dem Wohnraummieter unabhängig von der Wohndauer grundsätzlich eine dreimonatige Kündigungsfrist mit Sicherheit nicht deshalb eingeräumt, damit dieser nunmehr auf den beiderseitigen Kündigungsausschluss bestehen sollte, um sich vor einem Eigenbedarf zu schützen. In Anbetracht der angespannten Wohnungsmärkte dürfte es lebensfern sein, wenn vom Mieter verlangt wird, den Vermieter zum Verzicht auf sein Recht auf Eigenbedarf zu bewegen. Es ist zu fragen, aus welchem Grund der Gesetzgeber dem umsichtigen und vorausschauenden Vermieter die Möglichkeit eingeräumt hat, mit dem Mieter befristete Verträge, zum Beispiel wegen des Eigenbedarfs seiner Kinder oder Angehöriger zu schließen. Bedauerlicherweise haben die Karlsruher Richter die naheliegende Institution des Vertrags mit qualifizierter Befristung in ihre Überlegungen nicht einbezogen.